Frank Sinatra, nie um einen flotten Spitznamen für geschätzte Mitglieder seines Freundeskreises verlegen, nannte ihn stets "Boinie", was eine liebvoll-lautmalerische Variante von Bernie war.
Zu der Zeit aber kannte der Rest der Welt Bernard Schwartz schon als Tony Curtis, den aufstrebenden, fast schon absurd gutaussehenden leading man der Universal Studios.
Sein Aufstieg fiel zusammen mit dem Abschied vom alten Studiosystem, und neben Rock Hudson sollte er Ende der fünfziger Jahre der einzige Vertragsschauspieler der Universal sein, der aus dem Zusammenbruch der alten Ordnung als Weltstar hervorging.
Nun ist Tony Curtis im Alter von 85 Jahren gestorben, und mit ihm verabschiedet sich auch einer der letzten Protagonisten des wirklich glitzernden, aber zugleich ebenso abgründigen, babylonischen Hollywood.
Im Vergleich mit Zeitgenossen strahlte sein Ruhm heller, war sein Leben wilder und seine Abstürze waren tiefer.
Vielleicht auch, weil nichts in seiner Jugend darauf schließen ließ, dass er eines Tages auf der Leinwand landen würde.
Der Sohn von Emanuel und Helen Schwartz, bitterarmen jüdischen Emigranten aus Ungarn, wurde 1925 in ein hartes Dasein geboren.
Auf den Straßen der New Yorker Bronx musste er sich gegen alltäglichen Antisemitismus wehren, daheim überschatteten wirtschaftliche Not, die seelische Erkrankung der Mutter und der tragische Unfalltod seines jüngeren Bruders Julius seine Kindheit.
Den Zweiten Weltkrieg erlebte er bei der U.S. Navy im Pazifik, und er kehrte zurück mit dem Vorsatz, die Mean Streets von New York hinter sich zu lassen.
Ein trainierter Körper und sinnlich-weiche Gesichtszüge waren dabei die Rüstung, hinter der sich die Härte seiner Herkunft verbarg.
Zugleich war das makellose Äußere sein Startkapital im Showgeschäft, und nach seinem mit der Armeeabfindung finanzierten Studium am Dramatic Workshop der New School in New York landete der 23-Jährige im Jahr 1948 mit einem Standardvertrag der Universal in der Tasche in Hollywood.
Aus Schwartz wurde endgültig Curtis, der sich nach eigener Aussage zunächst nur für Frauen und Geld interessierte und das snobistische Hollywood-Establishment - mit Ausnahme des bewunderten Marlon Brando - ebenso verachtete wie die selbstbezogenen method actors der Strassberg-Schule.
Curtis hingegen war ein Schüler Erwin Piscators und seine Vorbilder waren die naturals, die instinktiven Schauspieler klassischer Prägung.
Von seinem Idol Cary Grant etwa übernahm er Eleganz und Leichtigkeit des Auftretens, sowie das Gefühl für ein perfektes Timing.
Und nur wenig Jahre später sollte er dann neben seinem Vorbild in Blake Edwards' Komödie "Operation Petticoat" (1959) glänzen.
Doch sein Durchbruch kam nicht mit den komischen Parts, an die sich heute alle erinnern, sondern verdankte sich dramatischen Rollen: Sein zynischer Presseagent in Alexander Mackendricks "Sweet Smell of Success" ("Dein Schicksal in meiner Hand", 1957) offenbarte Curtis' Talent, sein blendendes Aussehen mit düsteren Charakterzeichnungen zu kontrastieren.
Und kurz darauf brillierte er in "The Defiant Ones" ("Flucht in Ketten", 1958) als bigotter Sträfling John "Joker" Jackson, der in der Notgemeinschaft mit einem schwarzen Mitgefangenen (Sidney Poitier) seine Vorurteile konfrontieren muss.
Möglicherweise wäre seine Karriere anders verlaufen, hätte er wirklich den ihm Zeit seines Lebens verwehrten Oscar für diese Rolle bekommen.
Oder für seine tragisch-erotische Darbietung in Kubricks "Spartacus" (1960).
Stattdessen wurde Tony Curtis nach den dramatischen Herausforderungen der ersten Starjahre auf die Rolle des charmanten Luftikus festgelegt, und er selbst bemühte sich nach Kräften, das Playboy-Image auch abseits des Sets zu pflegen.
Nun ist es beileibe nicht so, dass dieser Stereotyp keine großartigen Darbietungen hervorgebracht hätte, von denen sein beseelter Auftritt an der Seite von Jack Lemmon und Marilyn Monroe in Billy Wilders "Some Like It Hot" (1959) ohne Zweifel das Prädikat der Unvergesslichkeit verdient.
Aber neben diesen Juwelen findet sich unter Curtis' 150 Filmen eben auch eine Menge Tand, wobei er entwaffnend ehrlich oft der erste war, der mit Kraftausdrücken seine Geringschätzung für viele der eigenen Rollen kundtat.
Wenn sich jedoch die seltene Chance ergab, die Deckungsgleichheit zwischen dem Image als Leinwand-Beau und der Vita einer skandalumwitterten Hollywood-Celebrity zu unterlaufen, dann nutzte er sie: Etwa als verführerischer Psychopath in "The Boston Strangler" ("Der Frauenmörder von Boston", 1968), brutaler Mafia-Pate in "Lepke" ("Der Gangsterboss von New York", 1974) oder, im Herbst seiner Laufbahn, als jüdischer Emigrant in Thomas Brachs berührendem "Der Passagier - Willkommen in Germany" (1988).
Es wäre schön, einige dieser Filme nun wieder im Kino oder zumindest im Fernsehprogramm zu sehen.
Allein schon, damit Tony Curtis hierzulande nicht nur aufgrund seiner Eskapaden als schlagfertiger Freizeitdetektiv im dauerwiederholten Serienklassiker "The Persuaders" ("Die Zwei") im Gedächtnis bleibt.
Tony Curtis selbst hat nie einen Hehl daraus gemacht, wie sehr ihm das durchaus gewollte Stardasein zugesetzt hat.
Zahllose Affären und sechs Ehen, darunter mit Janet Leigh und Christine Kaufmann, sowie der über viele Jahre mit Kokain und Alkohol am eigenen Körper betriebene Raubbau ließen sich auch schwerlich verbergen. Seine Beziehung zu den eigenen Kindern, so auch zur Schauspieltochter Jamie Lee Curtis, blieb zumeist schwierig und innere Ruhe und Zufriedenheit waren ihm nach eigenem Bekunden stets suspekt.
Zuletzt schien er jedoch angekommen, im privaten Leben und als bildender Künstler, der es mit seinen "Time Boxes" ins Museum of Modern Art in New York schaffte.
Für einen Jungen aus der Bronx war diese späte Anerkennung vielleicht bedeutender als aller Glamour der Westküste.
Jetzt geht der Lebemann Tony Curtis als einer der letzten Hollywood-Stars, die noch eine dem Mythos entsprechende Biografie mitbrachten.
Er, der die bereits verstorbenen Freunde wie Jack Lemmon - den er mal in unnachahmlich herzlicher Straßenpoesie als "best fucking man" titulierte - schmerzlich vermisste, gesellt sich zu ihnen in den Pantheon der echten Stars.
Sie werden für Boinie sicherlich eine schöne Willkommensparty schmeißen.
von David Kleingers
von David Kleingers