Vor 99 Jahren heuerte der vietnamesische Bäckerlehrling Nguyen Tat Thanh auf einem Schiff nach London an.
Dort arbeitete er als Tellerwäscher unter Auguste Escoffier im Carlton-Hotel.
Der berühmte Koch wollte ihn in die Geheimnisse seiner Kunst einweihen.
Doch Ho Chi Minh, wie er sich später nannte, entschied sich für die Revolution.
Doch auch ohne Onkel Ho hat sich die vietnamesische Küche einen Namen gemacht.
Sie ist ein Spiegel der Jahrhunderte alten Geschichte des Landes.
Dürren, Überschwemmungen und Kriege bestimmten in der Vergangenheit das Schicksal Vietnams und lehrten sein Volk, aus wenigen Mitteln raffinierte Gerichte zu zaubern.
"Glück", so heißt es noch heute in ländlichen Gegenden, "ist, sich satt zu essen".
Gern auch deftig und frittiert.
Es existiert kaum etwas, das nicht verwertet wird.
Es gibt Suppen mit ganzen Entenküken, befruchtete Enteneier, gegrillte Ratten und Schweinegebärmutter.
Auf den Straßen sieht man ganze Hunde am Spieß, auf dem Markt kauft man zum Rösten Kröten, es gibt krokodilartige Tiere im Glas, filetierte Pythons, Mäuse und Würfel aus Hühnerblut.
Gedämpfte Hühnerfüße gelten als Delikatesse.
Mit der leichten Küche, die man in Deutschland so schätzt, hat das wenig zu tun.
Gleichzeitig beinhaltet die vietnamesische Kochkunst weit mehr als die hierzulande bekannten Frühlingsrollen.
Drei Zutaten dürfen in keiner vietnamesischen Küche fehlen: Frische Kräuter wie Koriander, Minze und vietnamesisches Basilikum.
Die Fischsoße Nước mắm, die Köche wie Dichter zum essbaren Parfüm verklären und mit der sogar der Kaffee beim Rösten versetzt wird.
Und Reis in all seinen Ausprägungen: Reispapier, Reisnudeln, Reismehlcrêpes, Reismehlkuchen.
Über die Jahrhunderte haben Chinesen, Japaner, Franzosen und Amerikaner Vietnam besetzt und ihre kulinarischen Spuren hinterlassen.
Im Norden zeigt sich der chinesische Einfluss in Pfannengerührtem und Geschmortem.
Es gibt Cháo, Reisbrei, den Feuertopf Lẩu, in dem man Zutaten von Tofu bis Tintenfisch am Tisch im Holzkohleöfchen gart.
Und chè, ein süßes buntes Getränk zum Essen, mit Kügelchen aus Klebereis und Bohnenbrei.
Wahre Kochkunst bietet die zentralvietnamesische Kaiserstadt Hue.
Der Überlieferung nach ließ sich Kaiser Tu Duc im 19. Jahrhundert Tee aus Tautropfen zubereiten, die Diener allmorgendlich von den Lotusblättern des kaiserlichen Sees sammelten.
Tausende Köche kreierten seine Leibgerichte: Bò la lot, in wilde Betelblätter gewickelte Rindfleischröllchen, oder Chạo tôm lui mia, gehackte Krabben an Zuckerrohr.
Noch heute ist Hue bekannt für aufwendige Gerichte und ihre kunstvolle Präsentation.
Als ehemaliger Handelsweg zwischen China und Indien haben im Süden Thai, Inder und Khmer Vielfalt, Geschmacksreichtum – und Kokosmilch hinterlassen.
Im Mekong-Delta wird gedämpft und gebrutzelt, was die fruchtbare Erde hergibt.
Und rund um Saigon ist die Grande Cuisine der Franzosen mit Artischocken und Spargel, weißem Brot und Rindfleisch herauszuschmecken.
Doch hier wie dort macht der typische Kontrast von süß, sauer, salzig, scharf und bitter die vietnamesische Küche unverwechselbar.
Auch wenn der Lebensstandard gestiegen ist – die Vietnamesen sind weiterhin kreative Köche.
Die Hanoier Hang-Cot-Straße zum Beispiel ist berühmt für Gà Tần, sogenannte Dosenhühner: Schon von Ferne sieht man die Hühnerbeine, die aus Cola-, Schweppes-, und Fantadosen ragen.
Nach neun Stunden Garzeiten lässt sich das butterweiche Fleisch selbst mit Stäbchen leicht von den Knochen lösen, es schwimmt in einer Brühe mit einem schwarzen Pilz und Wolfsbeeren – von denen bei uns in der Apotheke 500 Gramm rund 30 Euro kosten.
Eine Ecke weiter gibt es noch mal Huhn – im Kentucky Fried Chicken.
Und Döner-Kebab, eingeführt vom Café Goethe vor dem Goethe-Institut.
Doch derlei westliche Einflüsse sind (noch) die Ausnahme.
Manche Spezialität von dort wird wohl nie zu uns gelangen: Bánh bèo, Reisteigplätzchen mit Shrimps und Lotusblüten zum Beispiel oder „Bánh chưng“, stundenlang gekochte Klebereiskuchen mit Mungbohnen und Schweinefleisch.
Diese Gerichte wären für Gastronomen in Deutschland viel zu aufwendig.
In Vietnam konzentrieren sich die Garküchen dagegen oft auf nur eine Spezialität.
Ein Klassiker, den es auch in Deutschland schon in manchen guten vietnamesischen Restaurants gibt, ist die Phở.
Diese Brühe mit Reisnudeln, Fleisch und Kräutern, schlürfen Vietnamesen schon um sechs Uhr früh auf winzigen Plastikhöckerchen am Straßenrand.
Ein Erfolgsrezept könnte auch Bún Chả werden - zwischen Bambusstäben gegrillte Frikadellen im Betelblatt, mit Fischsoße und Reisnudeln serviert.
Vielleicht schaffen es auch Bittermelonensalat mit getrockneten Garnelen, gefüllter Aal mit Schwein und Kurkuma, in Süßkartoffelteig frittierte Garnelen und Senfblättersuppe auf unsere Speisekarten.
Und für Mutige vielleicht auch Schlangen, deren Fleisch traditionell auf sieben verschiedene Arten zubereitet wird: als Filet, Hackfleisch, kurz gebraten – oder als in Wasserspinat gewickeltes "Frühlingsröllchen".
Diese Speisen könnten dazu beitragen, neue Gebiete der noch weitgehend unbekannten kulinarischen Landkarte Vietnams zu entdecken.
Quelle ZEIT ONLINE
Hört sich zum Teil köstlich, zum Teil ziemlich gruselig an... aber das wird wohl jedem so gehen...
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