Eine erste Welle des Giftschlamms aus der Aluminiumhütte MAL bei Kolontár in Westungarn hat am Donnerstagmorgen die Donau erreicht.
Nach Angaben der staatlichen Wasserbehörde haben sich die pH-Werte des Wassers am Zusammenfluss von Raab und Donau um einen Punkt auf etwas über 9 erhöht.
Joseph Toth von der Wasserbehörde versicherte, eine solche Konzentration sei noch nicht gesundheitsgefährdend.
An südlichen Nebenarmen der Donau wurde am Donnerstag auch Rotschlamm gesichtet, der nach dem Dammbruch vier Menschen getötet, 120 verletzt, Häuser und Dörfer eingerissen, Vieh ersäuft, Felder verwüstet und Gewässer verödet hat.
Regen und Hochwasser, dem das Aluminiumwerk selbst das Brechen des gewaltigen Rotschlammbeckens zuschreibt, wirken sich zwiespältig aus: Die Wassermassen verdünnen die ätzende Lauge im Schlamm. Andererseits hat sich der Durchfluss in den Gewässern verstärkt, so dass die Brühe einen Tag früher als erwartet in der Donau angekommen ist.
Die pH-Wert-Skala reicht von 0 bis 14.
Der Wert 7,5 gilt als neutral, alles darunter ist sauer.
Der Laugenwert in den Gewässern um Kolontár erreichte bis zu 13,5 pH, also knapp unter dem absoluten Höchstwert.
Stefan Schmutz, Hydrobiologe von der Universität für Bodenkultur in Wien, sagt, die Folgen für Tier- und Pflanzenwelt seien nicht abzuschätzen.
Schwermetalle könnten sich anreichern, über die Nahrungskette bis zum Fisch und damit zum Menschen vordringen.
Dafür aber müsse man die genaue Zusammensetzung der Substanz kennen.
Nach Beobachtungen von Umweltschützern ist die gesamte Fischotterpopulation im Einzugsbereich des rumänisch-ungarischen Flusses Theiss bei einem vergleichbaren Unglück ausgestorben.
Was das Gift für die einmaligen Biotope der Donau besonders im Donaudelta bedeuten kann, weiß derzeit niemand.
Die 40 Quadratkilometer, auf denen sich die ätzende Kloake ausgebreitet hat, gelten auf Jahre als totes Land.
Ungarns Premierminister Viktor Orban zeigte sich in Kolontár am Donnerstag erschüttert: Der Ort sei für immer unbewohnbar, die betroffenen Dörfer wieder aufzubauen erscheine ihm sinnlos.
Er regte einen Katastrophenfonds an, in den die "reichen Auslandsungarn" für ihre Landleute zu Haus einzahlen sollten.
Ein bemerkenswerter Rat angesichts der Haltung der Werksleitung.
Nicht mehr als 160000 Euro, also 400 Euro pro kaputtem Haus, will man zahlen.
Dabei sind die meisten Häuser in dem Gebiet nicht versichert.
Wütende Betroffene forderten Schadenersatz von leitenden Angestellten des Alu-Werkes.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace forderte die volle Übernahme aller Kosten.
Die beiden Hauptaktionäre zählten zu den dreißig reichsten Ungarn.
Die Leitung wollte die Produktion ursprünglich fortsetzen.
Dies hat die Regierung vorerst verhindert.
Dennoch gehen die Verantwortlichen davon aus, dass sie das Werk bald wieder in Betrieb nehmen können.
Für Ungarns Bevölkerung ist die Katastrophe ein Schock.
Bislang glaubte man sich nur durch Schlampereien umliegender Staaten bedroht: Zweimal wurde alles Leben in der Theiss bereits durch eine Giftkatastrophe in Rumänien vernichtet, ständig verunreinigen österreichische Papierfabriken die Raab.
Ungarns Politiker behaupteten stets, dies könne in ihrem Land nie geschehen.
Um so verwunderter ist nicht nur die ungarische Öffentlichkeit, dass bis Donnerstag keine endgültige Analyse über die Zusammensetzung des Schlamms vorlag.
Folglich war auch keine Prognose möglich, wie sich Schwermetalle und andere Stoffe in der Natur anreichern und am Ende auch die Menschen bedrohen könnten.
Die Werksleitung hatte schon am Mittwoch erklärt, der Rotschlamm sei "laut den Abfallnormen der EU kein gefährlicher Abfall".
Zu 40 bis 45 Prozent sei Eisenoxid enthalten, das den Schlamm rot färbe.
Danach folgten Anteile von Aluminiumoxid, Siliziumoxid, Kalziumoxid, Titandioxid, gebundenes Natron sowie Natrium- oder Kalziumaluminiumsilikat.
Entscheidend sei, dass dies alles "in stabiler, gebundener Form" vorhanden sei und nicht vom Wasser gelöst werden könne.
Ungefährlich also.
Experten misstrauen diesen Versicherungen.
Zu mangelnder Glaubwürdigkeit hat auch die Erklärung der MAL-Werksleitung beigetragen, wie der Unfall passiert sei: Durch die stetigen Regenfälle sei die Sohle des Dammes auf dem tonigen Untergrund regelrecht "ausgerutscht".
Man habe alle Sicherheitsbestimmungen beachtet und nichts zu der Katastrophe beigetragen, fühle sich also auch nicht verantwortlich.
Ungarns Umweltminister hat dem widersprochen: Das Becken sei erheblich überfüllt gewesen.
Augenzeugen aus Kolontár und anderen Orten berichten, man habe während der Tage vor dem Dammbruch mehrmals beobachtet, wie Schlamm über die Deichkronen geschwappt sei.
Zudem habe es Gerüchte über Risse und "verdächtige Aktivitäten" rund um den Giftsee gegeben.
Jetzt wurde auch bekannt, dass es schon einmal zu einem vergleichbaren Unfall kam: 1986, als das Werk noch ein volkseigener Betrieb war, brach die Deichkrone und der Rotschlamm überflutete ein großes Feld. Die Sache damals wurde nach kommunistischem Brauch vertuscht.
Ob Konsequenzen aus dem Vorkommnis gezogen wurden, weiß keiner.
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