Mittwoch, 22. September 2010

So schmeckt der Mond

Robert Wetzold / pixelio.de
Um Yeo Tiong ins Schwärmen zu bringen, genügen die beiden Stichworte "Raffles-Hotel" und "Mondkuchen". 
"Die Champagner-Trüffel-Mondkuchen dort sind sooo lecker", berichtet der Graphiker mit leuchtenden Augen. 
"Sie zergehen im Mund, so cremig sind sie.
Die muss ich einfach zum Mondfest haben." 
Yeo ist jemand, für den Labels enorm wichtig sind, der immer das neueste Handymodell hat und sehr darauf achtet, immer die angesagteste Mode zu tragen. 
Doch auch wer kein "Fashionista" ist wie er, muss ihm in Bezug auf den "Snow-Skin Mooncake with Champagne Truffle & Granache" aus Singapurs bekanntestem Hotel recht geben. 
Das mit einem knackigen Kern aus weißer Champagnertrüffelschokolade statt des traditionellen Eigelbs gefüllte Gebäck ist tatsächlich etwas Besonderes, und das hat sich herumgesprochen: Singapurer aller Klassen und Szenen stehen in diesen Tagen Schlange an dem Straßenverkaufsstand vor dem Luxushotel, um die Verwöhnvariante der traditionellen Mondkuchen zu erwerben. 
Am 22. September ist es wieder soweit. 
Dann scheint der Septembervollmond und die Chinesen in aller Welt feiern das Mittherbstfest, auch Mondfest genannt, zu dem die Mondkuchen gehören wie bei uns zu Weihnachten der Christstollen. 
Die runden, handtellergroßen süßen Pasteten wären ähnliche Dickmacher wie ein Stollen mit viel guter Butter und Marzipan, wenn sie nicht so mächtig wären, dass man schon nach einem halben Mondkuchen nicht mehr Papp sagen kann. 
Das genaue Datum des Festes variiert von Jahr zu Jahr, weil es vom Mondkalender abhängt.
"An dem Tag scheint der Mond so hell wie nie sonst im Jahr", versichert Vanessa Man.
Die PR-Dame des Raffles ist sichtlich froh, mal nicht das übliche Marketinggeklingel abspulen zu müssen, sondern von ihrer chinesischen Kultur erzählen zu können. 
"Man schenkt sich gegenseitig Mondkuchen zum Mittherbstfest. 
Das bringt Glück", sagt sie. 
"Am Abend sitzt dann die ganze Familie zusammen, isst den Kuchen, trinkt Tee und schaut den Mond an. 
Der Tee muss stark sein als Balance zu der Süße der Kuchen."
Einige hundert Kilometer weiter nördlich im malaysischen George Town hatte Ende vergangener Woche Kenneth Wong alle Hände voll zu tun. 
Über das Mittherbstfest will er nach Australien reisen. 
Wäsche ist noch zu waschen, der Koffer zu packen und vor allem muss für die Mutter noch Mondkuchen gekauft werden. 
Wong eilt in die Jalan Cintra in der zum Weltkulturerbe erklärten Altstadt von George Town zur Bäckerei von Herrn Loh. 
"Hier gibt es noch die richtig traditionellen Mondkuchen", sagt er.
Der Mondkuchenklassiker besteht aus einer Füllung aus grünlich-brauner, süßer Lotuspaste, die ein wenig wie Marzipan aussieht, aber nicht ganz so süß ist. 
Darin eingebettet ist ein gestocktes Enteneigelb, dessen runde Form und goldene Farbe den Mond symbolisiert. 
Das Ganze wird in eine Teigpastete gefüllt, mit einem Teigdeckel verschlossen, der mit dem Namen der Bäckerei und Festtagswünschen wie "Harmonie" oder "Glück" in chinesischen Schriftzeichen verziert ist, und dann im Ofen gebacken. 
Das Enteneigelb ist gesalzen. 
"Der Gegensatz von salzig und süß entspricht dem Prinzip der Harmonie von Yin und Yang", erklärt Herr Loh. 
Harmonie wird auch durch den kreisrunden Vollmond symbolisiert. 
Deshalb sei das Mondfest ein Familienfest, sagt Herr Loh und erinnert an das alte Sprichwort: "Wenn der Mond rund ist, ist auch der Kreis der Menschen rund".
Wong ersteht Mondkuchen mit "double Yolk", zwei Eigelben. 
Die sollen doppelt soviel Glück bringen und hoffentlich die Mutter besser über die Enttäuschung hinwegtrösten, dass der Sohn lieber down under urlaubt als, mit Mama den Mond anzugucken.
Das Mittherbstfest ist eines der schönsten des an Feiertagen nicht gerade armen chinesischen Festkalenders. Das Mondfest zeichnet sich durch eine heitere Gelassenheit aus im Gegensatz zum hektischen chinesischen Neujahr. 
Es ist auch nicht so bedrohlich wie das Fest der hungrigen Geister, das dem Mondfest vorausgeht, und so heißt, weil sich die Tore der Unterwelt öffnen und hungrige Dämonen ausschwärmen, die es mit allerlei Opfergaben zu besänftigen gilt.
Es gibt viele Legenden über den Ursprung des Mondfestes. 
Die vielleicht schönste ist eine, die von großer Liebe, Habgier und einer gütigen Göttin handelt - und von Klimawandel. 
Sie soll sich vor ein paar Jahrtausenden zugetragen haben.
Es war einmal ein schönes Mädchen mit dem Namen Chang Er, die sich unsterblich in den tapferen Bogenschützen Hou Yi verliebt hatte. 
Der hatte heldenhaft die Erde vor einer globalen Erwärmung bewahrt, indem er neun Sonnen, die plötzlich am Himmel aufgetaucht waren und durch ihre Hitze auf der Erde für Dürren und Ernteausfälle sorgten, mit seinen Pfeilen einfach abschoss. 
Dummerweise handelte es sich bei den neun Sonnen aber um die Söhne des allmächtigen Jadekaisers, der ob des Mordes so erbost war, dass er Hou Yi und Chang Er von der Erde verbannte. 
Doch die Göttin Xi Wang Wu hatte Mitleid mit dem Traumpaar und beschenkte Hou Yi mit einem Unsterblichkeitselexier. 
"Das will ich auch haben", sagte sich Chang Er, entwendete dem Liebsten den Zaubertrank, kippte ihn herunter und wurde so zur unsterblichen Mondgöttin. 
Aber Hou Yi liebte seine Chang Er so sehr, dass er ihr den Diebstahl verzieh. 
Vor lauter Rührung über eine so unerschütterliche Liebe machte die romantisch veranlagte Göttin auch den Jüngling unsterblich und erhob ihn zum König des Reiches der Sonne. 
Aber Strafe für die Frau im Mond musste sein. 
Nur einmal im Jahr, am 15. Tag im achten Mond, dürfen die beiden zusammenkommen. 
Man muss nicht ins Raffles oder zu Herrn Loh gehen, um Mondkuchen zu erstehen.
In den üppigen Shopping-Malls der asiatischen Metropolen sind jedes Jahr schon Wochen vor dem Fest Mondkuchenmärkte aufgebaut. 
Es gibt das Gebäck inzwischen in den unglaublichsten Geschmacksrichtungen. 
Mal sind rote Bohnen in die Paste gemischt, mal grüner Tee oder auch schwarzer Sesam.
Manche schmecken nach Mango, andere nach Erdbeere und einige gar nach der Stinkfrucht Durian. 
Auch Herr Loh verschließt sich nicht dem wandelnden Kundengeschmack. 
Er hat jetzt Mondkuchen in den Geschmacksrichtungen Kokos und Capuccino im Angebot.
"Wenn die Kunden das wollen, muss man traditionelle Produkte eben weiterentwickeln", sagt er. 
 Michael Lenz, Singapur www.spiegel.de

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