Nur einen einzigen Roman hat er veröffentlicht, doch der sicherte ihm Weltruhm: Jetzt ist Jerome David Salinger, Autor von "Der Fänger im Roggen", im Alter von 91 Jahren verstorben.
Vielleicht sind ja die einfachen Geschichten auch die stärksten Geschichten. Man denke an Goethes Werther - und man denke an Holden Caulfield. Die so simpel erscheinende Story dieses Schulversagers machte ihren Autoren zu einem der wichtigsten Literaten des 20. Jahrhunderts. Am Mittwoch ist Jerome David Salinger nun im Alter von 91 Jahren gestorben, dieser große Einsame des US-Literaturbetriebs - eines natürlichen Todes in seinem Haus in New Hampshire, wie es in einer Erklärung des Sohnes hieß. Als Salingers berühmtestes Werk gilt "Der Fänger im Roggen", veröffentlicht im Jahr 1951. Der Roman erzählt vom Leiden des jungen Anti-Helden Caulfield, der einen aussichtslosen Kampf gegen die Konventionen führt, der auswandern will, ein neues Leben anfangen möchte, weil er sich in seinem Leben nicht zurechtfindet, die Heuchelei der Welt um ihn herum nicht ertragen kann und will.
Salingers Hauptfigur, einer, der von der Schule fliegt, der dann ins heimatliche New York zurückkehrt, in die bizarre und verlogene Welt seiner Eltern und anderer Erwachsener, ist getrieben von Fantasie, von Sehnsucht, von unbestechlicher Beobachtungsgabe, von bisweilen gnadenlosem Frust - und hat bis heute Millionen Leser bewegt.
Wie sollte sie auch nicht? Denn obwohl das Buch vor mehr als einem halben Jahrhundert erschien, haben dessen Grundthemen nie Patina angesetzt: Das mit der Liebe ist nicht leichter geworden, das mit der Schule nicht, und das mit der Scheinheiligkeit der Welt erst recht nicht.
Und so wurde "The Catcher in the Rye", wie das Werk im Original heißt, zu einem der erfolgreichsten Romane des 20. Jahrhunderts. Fachleute gehen von mehr als 25 Millionen verkauften Exemplaren aus. Jedes Jahr sollen weitere 250.000 über den Ladentisch gehen. Salingers Sätze sind längst Schulstoff geworden - vielleicht ein Umstand, der den Rebellen Holden Caulfield verärgert hätte.
Obwohl Salinger nur diesen einen Roman und 35 Kurzgeschichten veröffentlichte, gilt er bis heute als einer der größten US-Autoren der Nachkriegszeit. Sein literarischer Mythos wirkte so stark, dass manche Kritiker gleich ein ganzes Jahrzehnt der amerikanischen Literaturgeschichte - die Jahre von 1948 bis 1959 - als "Ära Salinger" bezeichnet haben.
Geboren wurde Salinger am 1. Januar 1919 als einziger Sohn eines wohlhabenden jüdischen Käsehändlers in New York City. Seine Mutter, eine irisch-schottische Katholikin, war wegen des Vaters zum Judentum konvertiert. Erste Versuche als Autor unternahm er als junger Kadett in einer Militärschule, als Student veröffentlichte er Kurzgeschichten.
1942 trat Salinger dann in die US-Army ein, nahm an fünf Feldzügen in Frankreich teil, erlebte die berüchtigte deutsche Ardennen-Offensive mit, schrieb aber in dieser Zeit weiter. In Frankreich traf er auch einen Kriegsberichterstatter namens Ernest Hemingway, der ihm einer Biografie zufolge ein "verdammtes Talent" bescheinigte.
Zehn Jahre soll Salinger am "Fänger" gearbeitet haben, im Jahr 1951 kam der Roman heraus. Und erst zwei Jahre war er auf dem Markt, da trat Salinger eine Flucht an, die seinem Romanhelden Caulfield gefallen hätte: Er ging in die waldigen Hügel Neu-Englands, nach Cornish. Überwältigt und - nach eigenem Eingeständnis - eingeschüchtert von seinem eigenen Erfolg zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück, lebte in seinem abgelegenen Haus im Staat New Hampshire, wo er schließlich sterben sollte.
Seit 1965 kam keine Zeile mehr von ihm auf den Markt; am 19. Juni dieses Jahres erschien im "New Yorker" mit der Novelle "Hapworth 16, 1924" sein letztes Werk. Das letzte Interview gab er vor drei Jahrzehnten. Im Jahr 1974 brach Salinger einmal sein Schweigen, er telefonierte mit einem Reporter und sagte: "Ich schreibe gerne. Ich liebe das Schreiben. Aber nur für mich und zu meinem eigenen Vergnügen."
So einfache Sätze, so viel Raum für Spekulation - so ein Statement nährte natürlich den Verdacht, dass es da noch mehr geben müsse aus der Hand des Meisters, Unveröffentlichtes!
Eine ehemalige Geliebte etwa wusste von zwei fertigen Büchern zu berichten. Nun, nach seinem Tod, wird die literarische Welt nach einer möglichen Veröffentlichung seines Nachlass geradezu gieren. Wie groß der Hunger nach seinen Worten ist, mag man daran ermessen, dass 1999 ein paar seiner Briefe an eine frühere Geliebte versteigert wurden - und einen Preis von 150.000 Dollar erzielten.
Salinger war da längst zu einem Mysterium geworden, zum vielleicht berühmtesten Eremiten der Welt, über den immer mehr und immer absurdere Behauptungen verbreitet wurden; man diskutierte sein Sexleben, seine Einkaufsgewohnheiten. Er wurde, wie jetzt die "New York Times" in ihrem Nachruf schrieb, berühmt dafür, nicht berühmt sein zu wollen.
Salingers Sorge um sein literarisches Erbe war verständlich, nötig war sie sicher nicht: Sein Werk ist unantastbar und unsterblich.