Dienstag, 12. Januar 2010

Die Kopfpauschale entkuppelt die Gesundheit von der Solidarität


Michael Dettmer                                                                                
Die Kopfpauschale heißt: Alle zahlen dasselbe. Egal ob sie 900 Euro oder 9000 Euro im Monat verdienen. Das bedeute im Klartext: Die Putzfrau im Krankenhaus zahlt soviel wie die Oberärztin, der Fensterputzer soviel wie der Chef der deutschen Bank. Und Gesundheitsminister Rösler soviel wie sein Fahrer.

Wer viel Geld hat, verfügt nicht nur über das kleinere Krankheitsrisiko. Durch die Kopfpauschale wird er in Zukunft finanziell entlastet. Wer wenig Geld hat, wird häufiger krank – und zahlt mit der Kopfpauschale kräftig drauf. Wer von der Kopfpauschale profitieren würde, hat die Rürup-Kommission schon 2003 vorgerechnet: Sie bevorzugt die oberen Gehälter und bittet die unteren zur Kasse.
Der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem rechnet vor: "Das [ist] eine massive Umverteilung. Nehmen Sie jemanden, der dreieinhalbtausend Euro verdient, der würde nach dem Modell, was im Koalitionsvertrag steht, künftig so 140, 150 Euro im Monat zahlen, während der heute 280 Euro zahlt." Geringverdiener, die derzeit mit einem Einkommen von beispielsweise 800 Euro nur 48 Euro bezahlen, würden hingegen etwa dreimal soviel zahlen.
Dass sich die Kopfpauschale ohne irgendeinen sozialen Ausgleich nicht durchsetzen lässt, ist mittlerweile auch der FDP klar geworden. Dies soll über steuerliche Ausgleichszahlungen und Entlastungen geschehen. Dagegen sprechen gleich mehrere Gründe:
Fehlende Finanzierbarkeit: Dass die Ausgleichszahlungen den Haushalt belasten werden und in der aktuellen wirtschaftlichen Situation unbezahlbar sind, bemängeln auch Teile der Regierungsbank. Der SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach rechnete ihnen genüsslich vor, dass Röslers Pläne jährlich 36 Milliarden Mehrbelastung bedeuten. Auch die gesetzlichen Krankenkassen schlagen Alarm: Barmer-Chefin Fischer hat errechnet, dass 60 Prozent der Beitragszahler/innen einen steuerlichen Ausgleich benötigten würden und nur wenige gesetzliche Krankenkassen überleben könnten. Ein Blick in die Schweiz zeigt, dass sich die Kopfpauschale dort nicht bezahlt gemacht hat: "Ein Drittel der Versicherten können sich den pauschalen Beitrag nicht mehr leisten.
Mögliche Kürzung: Die Höhe des Sozialausgleichs muss in jeder neuen Legislaturperiode neu verhandelt werden. Hier drohen massive Kürzungen zu Lasten der Geringverdienenden: Schnell stehen Gesundheitsminister und Finanzminister vor finanzpolitischen Debatten und ringen über die Höhe des Sozialausgleichs und - als wahrscheinlichste Variante- um Kürzungen. Die Staatskassen sind leer, die Bevölkerung altert im Laufe der nächsten Jahre und der Zuschussbedarf steigt - heftige Auseinandersetzungen um die Höhe des Sozialausgleichs in der Krankenversicherung sind vorprogrammiert.
Bürokratischer Mehraufwand: Die Verlagerung des sozialen Ausgleichs in das Steuersystem bedeutet mehr Bürokratie, die das ohnehin schon teure und hoch regulierte Gesundheitssystem zusätzlich belastet. Auch wenn der Ausgleich laut Rösler automatisch und ohne Antrag vonstatten gehen soll, bleibt doch genügend Skepsis, dass es nicht zu einer umfassenden Offenlegung der finanziellen Verhältnisse von Geringverdienenden, etwa in Form von Bedürfnisprüfungen, kommen wird.

http://www.campact.de/

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